Die Flachsbreche
Johann Ludwig Bleuler zeigt einen geschäftigen Herbsttag auf einer Anhöhe oberhalb des Thunersees. Im Vordergrund bereiten Frauen und Mädchen des Städtchens Unterseen Flachs für die Herstellung von Leinen vor. In dicken Bündeln werden die Pflanzenstengel auf hölzernen Rosten zum Dörren ausgelegt. Dadurch werden sie spröde und die darin enthaltenen Fasern können mit der Hilfe von «Brechen» herausgelöst werden. Der Anbau von Flachs für die Leinenweberei war nicht nur im Unterland, sondern auch in den höheren Lagen des Berner Oberlandes verbreitet.
Vorzüglich Flachs ist in den Berggegenden mit dem besten Erfolge angebaut worden. Hinter Guttannen z.B., wurden schon mehrmal Pflanzungen von 3 ½ Fuss Höhe angetroffen, und nahe am obern Grindelwaldgletscher von 5 ½ Fuss; sogar auf Mürren geräth der Flachs besser, als im viel tiefer liegenden Lauterbrunnen.
Friedrich Koch (1824), Ansichten über den Leinenhandel, die Stofferzeugung, und deren Beförderungsmittel in dem Kanton Bern, S. 34-35.
Eine arbeitsame Familie
Auf dem Ölgemälde «La famille laborieuse» von Franz Niklaus König wird der aufwendige Prozess der Leinenverarbeitung zum Thema. Geschützt durch das ausladende Dach eines Bauernhauses im Berner Haslital sind Frauen und Kinder mit dem Brechen von Flachs beschäftigt. Der Anbau von Hanf und Flachs war fest verankert im bäuerlichen Arbeitsalltag. Die Gewinnung der Rohfasern und ihre Weiterverarbeitung zu Garn eröffnete Bauersfamilien neben der Deckung des Eigenbedarfs an Textilgewebe eine zusätzliche Einkommensquelle.
Der sogenannte Flachsblätz war von den Kartoffeln nur durch zwei Reihen Bohnen getrennt, und wie man sich wohl denken kann, nicht sehr gross und doch gleichsam die Schatzkammer der alten Frau, den derselbe gab ihr zumeist den besten Teil an ihre Miete.
Jeremias Gotthelf (1847), Käthi die Grossmutter, oder, Der wahre Weg durch jede Noth, S. 6 (zit. nach Ausgabe von 1992).
Fleissige Flachsbrecherin
Franz Niklaus Königs zeichnerische Studie einer Bäuerin aus dem Oberhasli veranschaulicht den Prozess des Flachsbrechens aus der Nahsicht. Indem die Flachsstengel zwischen der Holzleiste und dem Holzmesser einer «Breche» eingeklemmt und hin und her bewegt wurden, kamen allmählich die wertvollen Pflanzenfasern zum Vorschein. Diese wurden anschliessend geschwungen und mit der «Hechel» gekämmt, wodurch die kurzen von den hochwertigeren langen Fasern getrennt wurden. Die Fasern bildeten den Rohstoff für Garne und Leinenstoffe.
Die Tätigkeit des Flachsbrechens war weit verbreitet: so vermochte Franz Niklaus König seine Oberhasler Flachsbrecherin in einer seitenverkehrten druckgrafischen Umsetzung des Motivs ohne Weiteres in eine Walliser Tracht zu kleiden.
Brautflachs
Auf einem Aquarell von Friedrich Wilhelm Moritz sind ein Bauer, zwei Kinder und eine Gruppe von sechs Frauen mit schmucken Schwefelhütchen und farbigen Kopftüchern mit dem gemeinsamen Hanf- oder Flachsbrechen vor einem behäbigen Bauernhaus in der Nähe von Luzern beschäftigt.
Der wasserbeständige Hanf wurde für die Produktion von Segeltuch, Seilerwaren und Fischernetzen benötigt, das feinere Flachs war Rohstoff für Leinengewebe. Auch die Aussteuer der Bräute bestand zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Bettwäsche und Tüchern aus Leinen. Je mehr Töchter eine Bauersfamilie hatte, desto ertragreicher musste demnach die bewirtschaftete Flachsanbaufläche sein…
Heimspinnerei
Eine von Franz Niklaus König in einem zarten Aquarell proträtiere Fadenspulerin in Schaffhauser Tracht veranschaulicht es: Besonders Frauen fanden im Spinnen und Spulen von Fäden und Garnen ein bescheidenes Einkommen. Die Handspinnerei mit Geräten wie dem Spinnrad und der Haspel war in protoindustriellen Haushalten weit verbreitet. Als sie zu Beginn des 19. Jahrhundert durch den Einzug der Maschinenspinnerei unrentabel wurde, wechselten viele verarmende Handspinnerinnen zur Stickerei oder zur Handweberei.
Käthi war eine der treuen, fleissigen Spinnerinnen, denen nie das Gewicht fehlt, welche aus einem Pfund schönen Flachses fünfzehn, zwanzig und mehr Tausend spinnen konnte, das Tausend zu zweiundzwanzig Ellen, wenn man es so haben wollte, und trotz der der Feinheit doch so fest, dass die Weber nie über dieses Garn klagten, was doch von einem Weber viel sagen will. Ihr fehlte es selten an Arbeit, aber klein blieb der Verdienst dabei.
Jeremias Gotthelf (1847), Käthi die Grossmutter, oder, Der wahre Weg durch jede Noth, S. 205 (zit. nach Ausgabe von 1992).
Der Abendsitz
In einer kolorierten Umrissradierung setzt der Berner Maler Franz Niklaus König sich selbst und drei seiner Kinder beim abendlichen Zusammensitzen in der dunklen Stube im Dezember 1803 ins Bild. Währendem sich das Ehepaar König im schwachen Schein der Petrollampe der Lektüre widmet und dabei womöglich das Zeitgeschehen kommentiert, sind zwei seiner Töchter mit dem Spinnen und Spulen von Garn beschäftigt. Unklar bleibt, ob diese Tätigkeit eher der abendlichen Musse diente oder doch eher der wirtschaftlichen Not geschuldet war. Weil Aufträge in der Stadt zunehmend ausblieben, zog König 1797 mit seiner grossen Familie ins Berner Oberland. Doch auch dort kamen seine Geschäfte nur schleppend voran.
[...] und wenn alles stille war, um die sieben herum ungefähr, setzte Käthi sich wieder ans Rad und spann bis gegen zehne und manchmal weit darüber, wenn sie einmal wieder versuchen wollte, zwei tausend zu spinnen, weil drei Batzen ihr besonders wünschenswert waren. Stille Stunden waren dies, aber kurze für Käthi; da ging die Vergangenheit an ihr vorüber, ein Stück heute, ein Stück morgen, bald ein Kindbette, bald eine Kindtaufe, manchmal der Hochzeitstag, manchmal ein Todestag, und manchmal suchte das Auge in die Zukunft zu dringen [...] dachte [...] an die nächsten Tage und was ihr wohl noch beschert sei in selbigen, Gutes oder Schlimmes.
Jeremias Gotthelf (1847), Käthi die Grossmutter, oder, Der wahre Weg durch jede Noth, S. 214 (zit. nach Ausgabe von 1992).
Von Spinnerin zu Spulerin
Zwei als Pendants angelegte kolorierte Umrissradierungen von Sigmund Freudenberger verdeutlichen die Arbeitsteilung im Prozess der heimischen Garnspinnerei. Währendem die «Spinnerin» die Fasern am Spinnrad zu langen Fäden verdrehte, wickelte die «Spulerin» an der Drehhaspel diese Fäden zu einem gleichmässigen Strang, der später durch Waschen, Bleichen oder Färben weiter veredelt werden konnte.
«Inestäche, umeschlah, durezieh und abelah»
Wie Rudolf Durheim veranschaulicht, verlangt nicht nur das Spinnen und Spulen Fingerfertigkeit. Auch das Stricken will gelernt sein. Geduldig leitet die ältere Generation die jüngere an, wie der Faden richtig verknüpft wird. In zahlreichen Gewerberegionen der Schweiz beschäftigte die «Lismerei» in Heimarbeit tätige Frauen und Kinder.
Ich kenne ein Land, in welchem dieses nützliche Gewerbe zu einer höchst wichtigen Hilfsquelle für die armen Einwohner dadurch geworden ist, dass beide Geschlechter, Jung und Alt, wo sie gehen und stehen, nie anders als mit ihrem Strikzeug gesehen werden.
Christian Carl Wredow (1805), Zufällige Gedanken über die Bünden zuträglichen Industriezweige, in: Ökonomische Gesellschaft Graubünden (Hrsg.), Der neue Sammler, Band 1, Heft 2, S. 146.
Gersauer Seidengarn
Der Luzerner Maler Josef Reinhard malte um 1800 eine Serie von Bauernporträts. Wenige Jahre später brachten die Basler Verleger Peter Birmann und Johann Friedrich Huber eine darauf basierende Trachtenfolge heraus. Die Trachtendarstellung von Gersau zeigt, dass nicht nur pflanzliche Rohstoffe für die Textilherstellung verwendet wurden. Auch tierische Erzeugnisse wie Wolle oder Fasern aus dem Kokon der Seidenraupe wurden verarbeitet. In einer Bauernstube in Gersau bearbeitet eine Bäuerin «Schappe» oder «Florettseide», welche aus den minderwertigen Fasern des Kokons gewonnen wird. Am «Kämmlerstuhl» richtet sie die zuvor gereinigten Fasern durch mehrmaliges Kämmen parallel. Dadurch entstehen watteartige Bänder, sogenannte «Kammzüge». Dieses Vlies wird anschliessend von Spinnerinnen zu Garn verarbeitet. Bis heute wird in Gersau Seide gesponnen.
Einzug der Maschinenspinnerei
Die Mechanisierung der Spinnerei begann in der Schweiz im Ostflügel des Klosters St. Gallen, der während der Helvetik wegen der Schliessung der klösterlichen Güter zwischenzeitlich leer stand. 1801 eröffnete hier mit der «General-Societät der englischen Baumwollspinnerei in St. Gallen» die erste Textilfabrik der Schweiz. Um die modernen Spinnmaschinen des britischen Erfinders Samuel Crompton zu beschaffen, erfolgte die Gründung einer Aktiengesellschaft. Die Spinnmaschinen beschäftigten für kurze Zeit rund 120 Personen, hauptsächlich Frauen und Kinder. Das Unternehmen kämpfte aber schon bald mit grossen Schwierigkeiten, da das produzierte Garn nicht mit dem noch günstigeren englischen Import-Garn konkurrieren konnte. Trotz Konkurs gingen von der St. Galler Textilfabrik wichtige Impulse für die Industrialisierung der Textilwirtschaft in der Ostschweiz aus.
Seit Baumwollenzeug dadurch, dass die Baumwolle mit Maschinen gesponnen werden konnte, das Leinenzeug im Preise herunterdrückt, nahm der Verdienst der Spinnerinnen von Flachs und Hanf ab.
Jeremias Gotthelf (1847), Käthi die Grossmutter, oder, Der wahre Weg durch jede Noth, S. 204 (zit. nach Ausgabe von 1992).
Weisses Gold
Aus dem gesponnenen Garn wird das Tuch gewoben. Auf einer kolorierten Aquatinta von Franz Niklaus König ist die ausgelegte Leinwand der Bleicheanlage im Osten der Stadt St. Gallen zu sehen. Mit der Ablösung aus der Abhängigkeit vom Kloster, der Einführung einer Zunftordnung und der Reglementierung der Leinwandproduktion wurde St. Gallen bis um 1500 zum Zentrum des Leinwandgewerbes im Bodenseegebiet. Die hohen Qualitätsstandards machten die St. Galler Leinwand in ganz Europa zum Inbegriff für qualitativ hochstehendes Leinengewebe.
Die sonnigen Abhänge der die Stadt umkränzenden Schanzen wurden bei des Frühlings Beginn mit Tüchern bespreitet, welche von Gottes Sonne […] das empfingen, was sie bedurften, um zum schönen Erbleichen zu gelangen. Dieses weissgelegten Schanzen stellten manchem Wanderer das Bild unserer vaterländischen Schnee- und Eisfelder durchs ganze Jahr vor Augen.
Johann Conrad Troll (1850), Die Geschichte der Stadt Winterthur, Bd. 8, S. 242-243.
Zwischen Handel und Handwerk
In St. Galler Tracht gekleidet bringt ein fleissiger «Fergger» frisch gewobenes Tuch vom Heimweber zum Kaufmann. Das Ostschweizer Textilgewerbe war arbeitsteilig aufgebaut in einem komplexen Produktions- und Verlagssystem. «Fergger» und «Feilträger» belieferten Spinner und Weber mit den Rohmaterialien und Halbfabrikaten, welche diese für ihr Handwerk benötigten. Zudem vermittelten sie die Rohstoffe und die fertig produzierten Textilien zwischen Heimarbeitern und Kaufleuten. Mit der Auslagerung der Textilproduktion auf das Land umgingen die Kaufleute die Zunftzwänge der Stadt. Gerade in den voralpinen Gebieten fanden sie mühelos Arbeitskräfte, welche durch die wenig arbeitsintensive Vieh- und Milchwirtschaft unausgelastet und auf zusätzliches Einkommen angewiesen waren.
In älterer Zeit spielte die Leinwandfabrikation und der Betrieb von St. Galler und Appenzeller Leinwand die Hauptrolle; in neuerer Zeit aber, seit die Baumwolle stark in Gebrauch kam, wurden mehr und mehr baumwollene Stoffe und seit 1753 Mousseline gewebt. Im Jahre 1854 führte St. Gallen allein nach Nordamerika Stoffe an Werth von 11 Millionen Franken aus.
Heinrich Runge (1863-1870), Die Schweiz, Bd. 2, S. 32-33.
Der «Garnjuwelier»
Eine seiner seltenen Weichgrundradierungen widmete Franz Niklaus König dem Porträt des Toggenburger Schriftstellers, Webers und Garnhändlers Ulrich Bräker sowie dessen Frau Salome. König fertigte seine Radierung nach nach Bildnissen aus dem berühmten Trachtenzyklus «Kunstkabinett von 46 Familiengemälden oder 132 Portraits von Personen in Nationaltracht und niedlicher Gruppierung» von Josef Reinhard. Das Garnknäuel unter dem Arm seiner Frau verrät die Profession des Dargestellten: Ab 1759 versuchte sich Ulrich Bräker ohne besondere Vorkenntnisse und mit geliehenem Geld im Garnhandel. Auf Reisen nach Herisau und St. Gallen kaufte er Rohbaumwolle an und gab diese an Heimarbeiter zum Spinnen aus. Das versponnene Baumwollgarn veräusserte er wiederum an Kaufleute. Als Garnhändler blieb Bräker allerdings glücklos und er verschuldete sich stark. Auch mit dem Umstieg auf die Weberei konnte er sich und seine Familie nicht aus der wirtschaftlichen Misere befreien.
Im Merz fing ich nun wirklich an, Baumwollengarn zu kaufen. Damals musst’ ich noch den Spinnern auf ihr Wort glauben, und also den Lehrbletz theuer genug bezahlen. Jndessen gieng ich den 5. Aprill das erstemal mit meinem Garn auf St. Gallen, und konnt’ es so mit ziemlichem Nutzen absetzen. Dann schafte ich mir von Herrn Heinrich Hartmann 76 Pfund Baumwollen, das Pfund zu 2 fl. an, ward nun in aller Form ein Garnjuwelier, und bildete mir schon mehr ein, als der Pfifferling werth war.
Ulrich Bräker (1789), Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg, S. 174.
«Wer webt, der lebt»
Johannes Schiess zeigt die Arbeit in einem Webkeller im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Die Frau am hinteren Webstuhl ist gerade damit beschäftigt, die aufgespannten Längsfäden, die «Kette», zu schlichten: Dafür feuchtet sie die Fäden mit einer in Leimbrühe eingetauchten Bürste an, um sie danach wieder zu trocknen und dadurch für die Beanspruchung durch den folgenden Webvorgang zu festigen. Ihr Mann im Vordergrund ist bereits am Weben. Im Rhythmus des sich hebenden und senkenden Webgeschirrs führt er die Querfäden, den «Schuss», durch die längsgespannten Fäden.
Die Baumwollverarbeitung löste im 18. Jahrhundert die Verarbeitung traditionellerer Materialien wie Flachs oder Wolle ab. Zahlreiche Ostschweizer Bauern richteten sich einen Webkeller ein. Der Webkeller lag gewöhnlich an der Südseite des Hauses, um genügend Licht durch die Fenster hereinzulassen. Der Raum war niedrig und knapp bemessen, der Boden mit Lehm festgestampft. Die Verortung im Untergeschoss mit eher feuchter Luft war bewusst gewählt, so dass sprödes Garn geschmeidig blieb und die feinen Fäden nicht rissen.
Appenzeller Stickerei
Die Textilveredelung durch die Stickerei hat in der Ostschweiz Tradition. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts bestickten Heimarbeiterinnen in der Kettenstichtechnik Vorhangstoffe für den Export. Aufgrund der Bedrohung der einheimischen Baumwollspinnerei durch das englische Import-Maschinengarn spezialisierten sich besonders die Appenzell-Innerrhoderinnen auf die Plattenstichtechnik. In dieser Feinstickerei verzierten sie feine Hals- und Taschentücher, Schürzen, Blusen und Unterwäsche mit reliefartigen Darstellungen von Blumen und Blätterwerk. In den Trachtenbildern dieses Kantons ist der Stickrahmen das zentrale Attribut.
Eine gute Stickerin kann sich 24 bis 30 Kreuzer per Tag verdienen, ohne deswegen ihrem Hauswesen entfremdet zu werden. Kinder, die sonst dem Bettel nachliefen, gelangen zu 8, 10 und 12 Kreuzern, unter den Augen der Mutter ehrenhaft verdient. Auch Männer beschäftigen sich damit , doch die Mehrzahl lässt es gut sein und geht eher darauf aus, der Frau den errungenen Verdienst zu verschmauchen oder zu verspielen.
Verhandlungen der St. Gallisch-Appenzellischen Gemeinnützigen Gesellschaft (1845), S. 117.
Kunstvolle Handarbeit
Nicht nur in grossen Mengen und sehr verschiedenartigem Geschmack werden diese Gegenstände geliefert: die Industrie-Ausstellung in London vom Jahre 1851 hat auch Stickereien vorgeführt, welche von bestem Geschmack und unendlicher Ausdauer zeugten, theilweise selbst hohen Kunstwerth darlegten und nirgends in ähnlicher Vollkommenheit hergestellt werden können.
Heinrich Runge (1863.1870), Die Schweiz, Bd. 2, S. 41.
Eine Appenzeller Heimarbeiterin hält einen Stickrahmen mit einem kunstvoll verzierten Schleier in der Hand. Passend zum edlen Gewebe tragen sie und ihr männlicher Gegenpart stattliche Trachten zur Schau. Ausgefallener Schmuck und Flitter, schöne Stoffe und Schuhe mit schmucken Schnallen zeugen vom Selbstbewusstsein der Heimarbeiter. Die Stickerei in der heimischen Stube konnte sich gegenüber der Maschinenstickerei behaupten. Zwar wurde an den Stickmaschinen auch fleissig Stoffe veredelt, doch für Luxusartikel stand die Handarbeit für besondere Qualität. Die feine Handstickerei im Plattstich war eine Spezialisierung, die nicht von einer Maschine übernommen werden konnte.
Edle Stoffe
Die Schweizer Stickerei-Industrie produzierte überwiegend für den Export. In den Trachtenbildnissen und aufwendig zusammengestellten Folgen zu den Schweizer Trachten des 19. Jahrhunderts schmücken die prächtigen Textilerzeugnisse jedoch auch die Kantonstrachten. Wertvolle Feinstickerei ist etwa in Franz Niklaus Königs Trachtenbildnis einer Berner Taufpatin mit Rosshaarhaube zu entdecken: Der Täufling liegt verborgen unter einem grossen Taufschleier, dessen Saum kunstvoll gestickte Blumen und Blattranken zieren.
Schillernder Luxus
Das Tragen von luxuriösen Stoffen mit dekorativer Verarbeitung, von Pelzen und Edelsteinen war in der Schweiz lange Zeit reglementiert und somit Ausdruck von Standesunterschieden. Der sonntägliche Kirchgang bietet einer noblen Berner Dame die Gelegenheit, ihre Tracht und ihren Pelzmantel mit schillerndem Seidentaft zu präsentieren. Um sich während des Gottesdienstes warm zu halten, trägt sie eine Wärmeflasche durch das winterliche Bern.