Die Jahreszeiten
Der Herbst hält Einzug. Die Zeit der Heumahd ist bloss noch eine Erinnerung. Es naht die Zeit der Äpfel und Nüsse, allem voran aber diejenige der Trauben!
Mehr als die Hälfte der Schweiz kann nur Gras anbauen. Nirgendwo verstand man es jedoch besser, gutes Gras im Überfluss wachsen zu lassen, den reichhaltigen Geschmack und all die Kraft des Heus zu erhalten […] Einige Hügel, anderswo unfruchtbarer Boden, stellten sich als geeignetes Rebland heraus und wurden mit Weinreben bepflanzt […]
Simonde de Sismondi, De la richesse commerciale, S. 352 (Übersetzung aus dem Französischen).
Neuenburger Weinberge
Die Reben, welche die Umgebung von Neuenburg einst überzogen, sind auf einen Rest geschrumpft. Ein Aquarell des in der Stadt am Seeufer lebenden Berner Künstlers Gabriel Lory "Fils" zeugt von längst vergangenen Zeiten. Es stellt die Weinlese in den Perrolets-Saint-Jean im Abendlicht dar.
Der Wein kommt aus Neuenburg und ist sehr gut, besonders der rote. Ich halte mich aber an den weit weniger starken weissen, der billiger und meiner Meinung nach viel gesünder ist.
Jean-Jacques Rousseau, Deuxième lettre au Maréchal de Luxembourg, 28. Januar 1763 (Übersetzung aus dem Französischen).
Ein Hauch Moderne am Horizont
Zehn Jahre später, im Jahr 1827, malt Gabriel Lory "Fils" eine neue Version seines Aquarells. Es zeigt denselben Blick auf die Stadt Neuenburg mit dem Eingang zum Val-de-Travers im Hintergrund. Bis auf ein Detail hat sich nichts verändert: Auf dem Neuenburgersee ist in der Ferne der Schornstein eines Dampfschiffs zu erkennen. Es ist die Union, die im Jahr zuvor ihre Jungfernfahrt hatte und für die Reise nach Yverdon und zurück etwa zehn Stunden brauchte.
Festumzüge zu den Keltereien
Auch wenn sie manchmal den Pfarrern missfallen, sind die Abende während der Weinlese Momente der Freude. In diesem Aquarell von Friedrich Wilhelm Moritz aus dem Jahr 1822 ziehen Männer, Frauen und Kinder zum Klang der Geige und der Lieder tanzend durch Neuenburg. Alle steuern die zahlreichen Keltereien der Stadt an, hier diejenige, die sich im heutigen Rathaus befand.
Weinlese auf der St. Petersinsel
Jean-Jacques Rousseaus Aufenthalt auf der kleinen Bielersee-Insel ist relativ kurz – etwas mehr als ein Monat – aber er fällt mit der Weinlese zusammen.
Sobald die Trauben genugsam reif sind, und der Tag der allgemeinen Weinlese bestimmt ist, so kommen frühe am Morgen desselben unter lautem Jubelgeruf zahlreiche mit Winzern und Herbstgeräthe angefüllte Schiffe von Ligerz und Twann über den See her, und landen in den verschiedenen Buchten der Insel frohlockend an. Jede Parthey begibt sich dann, wenn erst die Weinzüber an ihre gewohnte Plätze gebracht worden, und jetzt die aufsteigenden Herbstnebel vor der hellsten Sonne gewichen sind, in den ihr gehörigen Theil des Weinberges.
Franz Sigmund Wagner, Die St.Petersinsel in dem Bielersee, S. 42
Berner Wein
Weinreben wurden einst von der Stadt Bern bis zu den Ufern des Thunersees angebaut. Diese Ansicht des von Weinreben umgebenen Schlosses in Thun zeugt von einer längst vergangenen Epoche.
Weniger gut als der Wein von Oberhofen und am Oertli, wird er [=der Wein von Merligen] doch hier und zu Kalligen, so wie drüben zu Spiez noch besser, als zu Thun, hinter der Burg.
Johann Rudolf Wyss, Reise in das Berner Oberland, Bd. 1, S. 291.
Weinbaugebiet Lavaux
Die das Ostufer des Genfersees dominierenden Terrassenhänge des Lavaux sind steil. Der charakteristische, schemenhaft skizzierte Glockenturm der Kirche Saint-Martin im Hintergrund verdeutlicht die Nähe zu Vevey.
Am 23. kamen wir an den Weinbergen des Lavaux vorbei. Der Wein ist berühmt und stark und gefährlicher als derjenige vom Ufer. Der Grund dafür ist offensichtlich: Die Reben des Lavaux wachsen auf von der Sonne extrem aufgeheizten schroffen Felsen, die anderen – wenn auch dem Wetter gleich ausgesetzt und auf derselben Seeseite – gedeihen auf weniger steilen und stärker mit Erde bedeckten Hängen.
Albrecht von Haller, Récit du premier voyage dans les Alpes, S. 7 (Übersetzung aus dem Französischen nach einer nachträglichen Edition des Reisetagebuchs).
Weinreben und Urbanisierung
Die zunehmende Urbanisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vollzieht sich auch zu Lasten der Weinanbauflächen.
Herr Coxe behauptet, dass die Strecke von Lausanne nach Vevey wirklich entzückend sei; dem kann ich nicht zustimmen. Es waren die vier unangenehmsten Meilen meiner Reise […] Es geht ständig nur rauf und runter. Das Gebiet heisst Lavaux und produziert hauptsächlich Wein, den ich als den besten der Schweiz empfunden habe. Er ist weiss, süss, leicht, angenehm. Es ist ein guter Wein von gewöhnlicher Qualität und er ist in natürlichem Zustand sehr fein, sofern die Händler und Kammerdiener sich nicht auf unsere Kosten amüsiert haben.
Jean-Benjamin de Laborde, Lettres sur la Suisse, adressées à Madame de M*** par un voyageur françois, en 1781, Bd. 2, S. 1-3 (Übersetzung aus dem Französischen).
Auf den Spuren Rousseaus
Fast zwei Jahrhunderte trennen diese beiden Ansichten des Schlosses Châtelard auf den Anhöhen von Clarens. In beiden Darstellungen nimmt der Weinberg eine prominente Stelle ein. Aber während in der kolossalen Topographia Helvetiae, Rhaetiae et Valesiae von Matthäus Merian zwei Jäger den Vordergrund zieren, nehmen in der ländlichen Darstellung von Joyeux & Wexelberg elegante Touristen ihren Platz ein, die vermutlich die Lektüre von Jean Jacques Rousseaus Texten in diese Gegenden gelockt hat.
Alle Weinberge, welche mit dieser wohltätigen Frucht beladen sind, die der Himmel den Unglücklichen darbietet, um sie ihr Elend vergessen zu lassen; das Geräusch der Tonnen, der Bottiche, der Lagerfässer […]; der Gesang der Weinleserinnen, von welchem diese Hügel widerhallen; das beständige Kommen und Gehen derjenigen, welche die Trauben zur Kelter tragen; […] schliesslich der Schleier des Nebels, welchen die Sonne morgens wie einen Theatervorhang emporzieht, um dem Auge ein so reizendes Schauspiel zu enthüllen: Das alles trägt dazu bei, ihm ein festliches Aussehen zu geben; und dieses Fest wird nur noch schöner, wenn man erwägt, dass es das einzige ist, bei dem die Menschen das Angenehme mit dem Nützlichen zu vereinigen gewusst haben. […] Seit acht Tagen, da uns diese angenehme Arbeit beschäftigt, ist man kaum zur Hälfte damit fertig.
Jean-Jacques Rousseau, Julie oder die Neue Héloïse, 5. Teil, 7. Brief.
Wein am Rhein
Die Region rund um den Bodensee und den Hochrhein war seit dem Mittelalter ein bedeutendes Weinanbaugebiet. Das idyllisch am Flussufer gelegene Städtchen Stein am Rhein war ein Umschlagsplatz für den Gütertransport auf dem Rhein. Auf der Wasserstrasse wurde Wein aus den umliegenden Rebanbaugebieten als Handelsgut verschifft. Unterhalb der Burg Hohenklingen boten die steil abfallenden Südhänge des Rheinufers sonnenbeschienene Reblagen, an denen noch heute bevorzugt Blauburgunder kultiviert wird.
Die Stadt treibt Kornhandel nach der Schweiz und Weinhandel nach Schwaben, auch einige Spedition.
Eduard Im Thurn, Der Kanton Schaffhausen, historisch, geographisch, statistisch geschildert, S. 170.
Badischer Wein?
Die Rebflächen der Stadt Diessenhofen lagen auf der gegenüberliegenden Uferseite. Die Weintrauben gediehen an der an der Südhanglage prächtiger und der Wein wurde süsser. Lange Zeit besassen neben Diessenhofener Bürgern auch die Dominikanerinnen des Klosters Sankt Katharinental drei Weintrotten auf der rechten – heute deutschen – Rheinseite. Erst im Gefolge der napoleonischen Kriege verloren die Nonnen ihre Besitztümer. Mit einem Staatsvertrag von 1854 wurde die Landesgrenze zwischen der Schweiz und dem Grossherzogtum Baden definitiv in der Mitte des Rheins festgelegt.
Edle Schaffhauser Tropfen
Anfang des 19. Jahrhunderts lag die Stadt Schaffhausen eingebettet zwischen Weinbergen, der Weinzoll war eine wichtige städtische Einnahmequelle. Die besten Tropfen wurden offenbar in Stadtnähe gekeltert.
Den angenehmsten und feurigsten Wein, nicht nur des Kantons Schaffhausen, sondern auch der ganzen deutschen Schweiz liefert die Rheinhalde, ½ Stunde östlich von Schaffhausen. Derselbe ist gelbröthlich […] von Farbe, hat einen äusserst lieblichen Erdbeergeschmack und kommt in guten Jahrgängen an Feuer vielen spanischen Weinen gleich. Da die Rheinhalde nur wenigen Partikularen in Schaffhausen angehört und nicht sehr gross ist, so erscheint ihr Wein selten im Handel. Nicht schlechter ist der Wein aus dem Stokarberg, westlich der Stadt Schaffhausen, seine Menge ist aber auch nicht bedeutend.
Eduard Im Thurn, Der Kanton Schaffhausen, historisch, geographisch, statistisch geschildert, S. 58.
Herbsten
Die Zeit der Weinlese ist gewöhnlich in der ersten Hälfte des Oktobers, seltener Ende Septembers oder Ausgangs Oktobers. Je länger übrigens die Trauben an den Reben hängen, umso viel besser wird der Wein, wenn nämlich kein Schnee oder allzuheftiger Frost eintritt. Leider übereilen sich die Weinbauern fast immer mit dem Einsammeln der Trauben, weil diese einige Tage vor ihrer völligen Reife den meisten, aber nicht den besten Wein liefern.
Eduard Im Thurn, Der Kanton Schaffhausen, historisch, geographisch, statistisch geschildert, S. 57.
Herbstfeste
In Schaffhausen und in den Klettgauer Weindörfern wird die Zeit der Weinlese, das Herbsten im Oktober gefeiert. Winzerfeste locken auch die Städterinnen und Städter in die ländlichen Trotten.
Übrigens wächst in allen Wein bauenden Gemeinden des Kantons ein trinkbarer Wein, und nur die schlechtesten Qualitäten zu Lohningen, Guntmadingen und Gächlingen dürften auf der gleichen Stufe mit den geringeren Boden- und Zürichseeweinen stehen.
Eduard Im Thurn, Der Kanton Schaffhausen, historisch, geographisch, statistisch geschildert, S. 58.
Der Stadt entfliehen
1819 veröffentlicht Johann Jakob Wetzel eine Reihe von Ansichten mehrerer Zentralschweizer Seen im Aquatinta-Verfahren. Seine Ansicht des Zürichhorns wird schnell berühmt und Johann Ludwig Bleuler bietet noch rund zehn Jahre später eine Kopie davon an. Am Ufer, im Schatten des Geästs, wird die Mahlzeit eines Paars von einem Krug Wein begleitet. Im Hintergrund sind die Glockentürme der Hauptkirchen Zürichs zu erkennen, namentlich das Grossmünster, das Fraumünster und St. Peter.
Diese Landspitze sowie das der Stadt noch nähergelegene Seefeld bieten mitunter die reizendsten Spaziergänge, sowohl am Morgen als auch gegen Ende eines schönen Abends. […] die Stadt selbst präsentiert sich von ihrer vorteilhaftesten Seite.
Johann Jakob Wetzel, Voyage pittoresque aux lacs de Zurich, Zoug, Lowerz, Egeri et Wallenstadt, S. 25 (Übersetzung aus dem Französischen).
Die Stadt entdecken
Nachdem er eine Zeit lang im Berner Oberland gelebt hat, kehrt der Berner Franz Niklaus König 1809 in seine Heimatstadt zurück. Gekonnt skizziert er Szenen aus dem städtischen Alltag. Die zarte, in dezentem Aquarell zur Geltung gebrachte Federführung lässt eine Vielfalt unterschiedlicher Persönlichkeiten in Erscheinung treten. Hier betrachtet ein festlich gekleidetes Bauernpaar in Begleitung seines Sohnes einen Aushang am Eingang einer der charakteristischen Weintrotten in der Berner Altstadt.
Weintrotten
Den Wein und die Verführung trennt nur eine schmale Grenze, welche die Männer auf dieser Radierung ohne Zaudern überschreiten!
Die Berner Damen kleiden sich gut, obgleich ohne Luxus, denn diesen verbieten die Gesetze. Sie haben ein gewandtes Benehmen und sprechen sehr fließend französisch. Sie erfreuen sich der größten Freiheit, aber sie mißbrauchen sie nicht, obgleich in ihren Kreisen Galanterie herrscht; denn der Anstand steht hier in Ehren. Die Männer sind hier nicht eifersüchtig, aber sie verlangen, daß ihre Frauen um neun Uhr abends zu Hause sind, um in der Familie zu speisen.
Giacomo Girolamo Casanova, Geschichte meines Lebens.
Wein und Brot
Wein spielte lange Zeit eine wichtige Rolle in der Verköstigung und Entlöhnung von Arbeitern. Oft erhielten diese einen Teil ihres Lohnes in Form von Wein und tranken täglich davon. Auch Johann Rudolf Wyss bezahlte das von den Thunersee-Schiffern geforderte Entgelt für seine Schifffahrt auf dem Thunersee in Form von Wein und Brot.
Von Thun bis zum Neuhaus, oben am See, oder umgekehrt, für jeden Ruderer, 2 Fr. Hiezu rechnet man gewöhnlich eine Flasche Wein sammt Brod auf jeden Mann, und ein Trinkgeld wird ebenfalls erwartet; doch tragen die Schiffleute dann öfters das Gebäck dafür bis Unterseen.
Johann Rudolf Wyss, Reise in das Berner Oberland, Bd. 1, S. 102.
Wein und Sozialisation
Am edelsten und gedeihlichsten indess wirkt ein gut Glas Wein, und ein paar Flaschen übernimmt der Träger mit Freuden, weil er weiss, dass auch ihm sein Theil beschieden ist. In den Sennhütten erscheint der Gast mit seinem Weine gedoppelt willkommen, und ein Trunk aus dem nämlichen Geschirre verbindet nach altdeutscher Art am wärmsten und schnellsten. Der Hirt wird gesprächiger, man verständigt sich inniger, und Belehrung sowohl als Vergnügen fliessen reichlicher.
Johann Rudolf Wyss, Reise in das Berner Oberland, Bd. 1, S. 88.
Grösse...und Dekadenz
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts rückt die Genremalerei die Mittellosesten der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Bettler, Landstreicher, körperlich Beeinträchtigte und andere Marginalisierte erlangen durch ihr malerisches Porträt wieder eine gewisse Würde. Auf einem Felsblock sitzend, mit einem Glas in der einen und einer Flasche Wein in der anderen Hand, grüsst ein Trinker den vorbeigehenden Passanten herzlich, bevor ihn der Rausch auf ein Neues ermattet.
Casanovas Schweiz-Rundreise
Die Stadt Murten erlangte nicht nur als Schauplatz der Niederlage Karls des Kühnen im Jahr 1476 Berühmtheit, sie ist auch für ihren besonderen Charme bekannt. Den Geschmack des berühmten Casanovas traf sie jedoch nicht. Dieser äusserte sich 1760 zu Murten im Rahmen seiner Schweiz-Rundreise wie folgt: «ich erwartete, etwas Besonderes zu finden, und ich sah nichts». Vielmehr zog eine Begegnung in seinem Gasthaus seine Blicke auf sich…
Ich fand im Gasthof ein junges Dienstmädchen, das romanisch [französisch] sprach. Sie fiel mir auf, weil sie meiner schönen Strumpfhändlerin von Paris außerordentlich ähnlich sah. Sie hieß Raton, und zum Glück blieb dieser Name mir im Gedächtnis. Ich bot ihr sechs Franken für eine Gefälligkeit, aber sie wies mit einer Art von Stolz das Geld zurück und sagte mir, ich hätte mich an die Falsche gewandt, und sie wäre ein anständiges Mädchen.
Giacomo Girolamo Casanova, Geschichte meines Lebens.
Fahren oder Trinken?
Auch ein 1821 von Franz Niklaus König porträtierter Kutscher in Murtner Tracht widmet sich dem Weingenuss. Bis 1798 war Murten eine gemeine Herrschaft Berns und Freiburgs. Die Angliederung an den Kanton Freiburg im Jahr 1803 hindert den Herrn auf dem Bild aber nicht, eine Peitsche in den Berner Farben unter dem Arm zu halten.
Ein letzter Schluck
Johann Ludwig Aberli ist für seine Landschaftsbilder bekannt, die er in der nach ihm benannten Aberlischen Manier angefertigt hat. Er schuf (in teilweiser Zusammenarbeit mit seinem Landsmann Balthasar Anton Dunker) eine Reihe von sechs Porträts von Bewohnern des Berner Umlandes. Darunter findet sich auch ein trinkender Bauer, der vor einem Trottenkeller sitzt.
Nach mehreren Jahrtausenden in herzlicher Eintracht haben sich Asklepios und Bacchus in diesen Tagen entzweit: Seine Jünger, die vormals zum göttlichen Saft der Rebe rieten, wagen der heutigen Generation mit ihren degenerierten Mägen nur noch Tee oder Mineralwasser zu empfehlen.
J. Jeanprêtre, Bulletin de la Société Neuchâtelois des Sciences Naturelles 33, 1905, S. 77 (Übersetzung aus dem Französischen).