Auf der Weide
Der jährliche Kreislauf der Alpwirtschaft beginnt im Tal. Auf freiem Feld, wie hier zwischen Sarnen und Alpnach, weideten im 19. Jahrhundert gemischte Herden, die nebst Kühen auch Ziegen und Schafe umfassten. Die Weiden bei Sarnen, die Johann Jakob Biedermann ab 1812 druckgrafisch veröffentlichte, wurden von Aloys Businger in seiner Geographie Unterwaldens wie folgt beschrieben:
Die grösste Ebene Obwaldens zieht sich von der Allmend am Sarnersee zwei Stunden lang fort, und etwa eine halbe Stunde breit nach dem Gestade von Alpnach […]. Eine kleinere Fläche bildet der Boden von Kerns, der wie eine herrliche Kunstterrasse sich über Sarnen, bis zum Kernwald, und das Ennemooserried […] sich erhebt.
Aloys Businger (1836), Der Kanton Unterwalden, S. 24-25.
Melken mit Aussicht auf die Jungfrau
Sobald im Gebirge das Gras spross, wurden die Tiere der Talbauern von Hirten auf die höher gelegenen Alpweiden getrieben. Im Alpsommer wanderten sie mit den Herden auf den verschiedenen Höhenstufen jeweils dem reifen Graswuchs nach. Dabei wurden die Tiere täglich gemolken, wie eine Szene von Simon Daniel Lafond aus dem Lauterbrunnental veranschaulicht. Eine Landschaftsbeschreibung aus dem Jahre 1783 vermittelt einen Eindruck über die dortigen Tierbestände:
Zu diesen Dreyen obigen Bäürdten Wengen, Mirren und Gimmelwald gehört dann auch der Grund oder das eigentliche sogenannte Lauterbrunnen-Thal […]. Die samtl. Güter dieser Thalschaft werden mit 608 Kühen, 27 Pferden, 1000 Schafen, 400 Geißen und einer großen Menge Rindvieh genuzet [...].
Johannes Rudolf Nötinger (1783), Raritetenkasten von Lauterbrunnen, S. 110-111 (zit. nach Ausgabe von 1920).
Milchwirtschaft in Stadtnähe
Das Hirtentum war keine ausschliesslich alpine Lebensweise, wie die Druckgrafik mit Ausblick auf die Stadt Bern zeigt. Seit dem späten 18. Jahrhundert erwarben Berner, Freiburger und Neuenburger Patrizier Landgüter im Mittelland und gaben ihr Vieh auch unweit der Städte in die Obhut von Hirten.
Weidemilch
Die frische Milch wurde entweder auf der Alp zu Butter oder Käse weiterverarbeitet, oder von gut erschlossenen Weideflächen ins Tal transportiert. Die beiden Werke Gabriel Lory «Pères» zeigen eine idyllische Szenerie in der hügeligen Landschaft über Thun. Der Melker, der den einbeinigen Melkstuhl um die Hüften gebunden trägt, leert die Milch aus dem hölzernen Melkeimer in die grössere Milchbrente. Die Frau, die die Brente in die Stadt tragen wird, hilft ihm.
Änneli ward zur Milchträgerin erwählt, weil man es um diese Tageszeit am besten entbehren konnte, und es tat es gern, weil es sah, daß es seinen Leuten ein großer Gefallen war.
Jeremias Gotthelf (1850), Die Käserei in der Vehfreude, S. 428 (zit. nach Ausgabe von 1970).
Mit dem Milchkarren in die Stadt
Zwischen Rubigen und Münsingen, zwei Stunden von Bern, trafen wir zwei Küher an, welche auf kleinen Wägelein ihre Milch nach der Stadt zogen.
Friedrich Meisner (1821-1822), Reise durch das Berner Oberland, S. 23.
In gut erschlossenen Gegenden konnte die abgefüllte Milch mit einem Wagen transportiert werden. Johann Georg Volmar stellt eine solche Beförderung in der Umgebung Berns dar. Gerade die Alpen des Emmentals eigneten sich aufgrund ihrer guten Erschliessung über Wege, auf denen auch Wagen verkehren konnten, hervorragend für den Transport frischer Milch in die Stadt.
Städtischer Milchausschank
Für den städtischen Konsum wurde die Milch Ende des 18. Jahrhunderts von den umliegenden Bauernhöfen in die Städte transportiert. Dort lieferten Milchfrauen und -männer die frische Milch bis zu den Türen und Fenstersimsen der Gasthäuser und Haushalte. Gottfried Mind dokumentiert dies mit seinem Aquarell «Le Laitier Bernois». Ende des 18. Jahrhunderts nahm der Konsum frischer Milch als Genussmittel deutlich zu. Manch Gelehrter sah darin eine Ursache für die Teuerung der Butter:
Unter den Ursachen, die von den Menschen abhangen, sind vornehmlich […]. Das in der ganzen Schweitz zur Gewohnheit gewordene und übertriebene Caffeetrinken, wozu so viele Milch, und besonders im Bernbiet und in den kleinen Cantonen, bis auf die höchsten Alpen so viel Nidel gebraucht wird.
H. K. Nüscheler (1788), Beantwortung der Preisfrage der Landwirthschaftlichen Gesellschaft, S. 271 (NB-Signatur: R 6648/3).
Frische Milch für die Alpkäserei
Es giebt in Innerooden, wie ich schon erwähnt habe, keine fahrbare Straßen […].
Johann Gottfried Ebel (1798), Schilderung des Gebirgsvolkes, S. 126.
Ganz anders gestaltete sich der Transport der frischen Milch in unwegsameren Gegenden. Der von Franz Niklaus König in der Appenzeller Tracht dargestellte Milchträger lehnt an einer Milchbrente, die man auf dem Rücken trägt. Auf den milchwirtschaftlich betriebenen Alpen, die schwer zugänglich waren, wurde die Milch damit in die Alpkäserei gebracht und dort weiterverarbeitet. Regional bildete sich dabei der Appenzeller als Käsesorte heraus.
Der «Laitier du Rigi»
Nicht nur das Appenzellerland ist für die Milchwirtschaft bekannt. Auch andere Regionen wie die ehemalige Grafschaft Greyerz, das Emmental oder die Zentralschweiz produzieren Käse. So zeigt Franz Niklaus König einen Rigi-Milchträger in der Schwyzer Tracht. Die Alpen der Rigi wurden bereits im 17. Jahrhundert für die Sömmerung von Kühen genutzt. Die Bewirtschaftung der Alpweiden ist nicht das ganze Jahr über möglich.
Sobald der Schnee im Frühling schmilzt und das erste Gras aufsprosst, wird das Vieh aus den Ställen auf die niedrigen Weiden getrieben, Mitte Juni in höhere Gegenden und zu Anfang Juli ein Theil auf die höchsten Alpen. Anfang September kehrt dieser wieder zu den mittlern Alpweiden zurück, gegen den 10. October in die Thäler und Ställe.
Karl Baedeker (1854), Die Schweiz. Handbuch für Reisende, S. XXXVIII-XXXIX.
Butter oder Käse?
Nach dem Melken mussten sich Bäuerinnen und Bauern zwischen der Weiterverarbeitung der Milch zu Käse oder zu Butter entscheiden. In letzterem Falle wurde die Milch stehen gelassen, bis sich der Rahm an der Oberfläche sammelte. Die Rahmschicht der Milch wurde nach etwa zwei Tagen in ein Butterfass geschöpft. Darin wird sie mit einem Stössel gestampft, wie Johann Karl Müllener in seinem Aquarell veranschaulicht. Die vertikale Bewegung mit der gelochten Scheibe trennte im Fass die verbliebene Milch vom Rahm und presste die Rahmflocken zu einem Butterklumpen zusammen. Im Gegensatz zum Käse wurde die Butter traditionsgemäss von Frauen produziert und diente lange fast ausschliesslich der bäuerlichen Selbstversorgung.
Vom Butterfass in die Welt
Im Lauf der Zeit erleichterten immer mehr technische Neuerungen die Arbeit. So setzte sich im 19. Jahrhundert das Drehbutterfass durch. Elegant und mit geringem Kraftaufwand wurde mittels Kurbel im Innern des Fasses ein gelochtes Flügelrad angetrieben, das die Stossbewegung des alten Butterfasses übernahm. Gabriel Lory «Père» malte zwei Berner Bäuerinnen bei der Arbeit am «Ankechübu» als Vorstudie zu seiner Druckgrafik «Paysannes du Canton de Berne».
Mit dem Wandel des Transportwesens im 19. Jahrhundert wurde auch die Butter zum Exportgut:
Man butterte auf Leib und Leben; aber die Butter wurde damals nicht wie ietzt [1850] nach Holland ausgeführt, eingesalzen als Schiffsanken gebraucht. Wie wenig die Butter galt, bezeugt der Vers an einem Thürli: ‹O Mensch, fass in Gedanken, drei Batzen gilt z’Pfund Anken!›
Jeremias Gotthelf (1850), Die Käserei in der Vehfreude, S. 354 (zit. nach Ausgabe von 1970).
Käsen im Simmental
Diese Innenansicht eines Simmentaler Chalets zeigt eine Sennenfamilie beim Käsen. Die Milch des Vorabends wurde mit der am Morgen gemolkenen Milch zusammengegossen und im Kessel erhitzt. Während im Hintergrund Käseformen gereinigt werden und im Speicher nebenan zahlreiche Käselaibe reifen, wird der Senn die soeben geronnene Milch nach Berner Oberländer Art zerkleinern:
[...] hernach wird dieser käseklumpen, entweder mit einem stab, […] käsebrechen, oder nur mit der hand klein gemacht; […] in diesem handgriff lieget der vornehmste unterscheid zwischen den weichen Emmenthaler- und harten Oberländerkäsen; bey dem Emmenthalerkäse werden die käsichten theile nicht so klein gemacht, […] und bleiben größere löcher in demselben; die Oberländer hingegen zertheilen diese theile so klein als möglich, damit sie den käs fest zusammendruken können […] und deswegen ist diese art käse immer härter und hat weniger löcher [...].
Johann Jakob Dick (1771), Welches ist der gegenwärtige Zustand der Alpen-Oekonomie, S. 47.
Besuch in der Sennerei
Die Verarbeitung der leicht verderblichen Milch nahe der Herde erforderte von den Sennen und Hirten eine halbnomadische Lebensweise. So hatten sie im Winterhalbjahr einen festen Wohnsitz in den Tälern, während sie im Sommerhalbjahr den Alpbetrieb als Arbeits- und Wohnort mehrmals wechselten. Eine Abwechslung zum harten, einsamen Alltag im Gebirge bildeten die Besuche der Familien, wie sie Sigmund Freudenberger in einer aquarellierten Umrissradierung festhielt.
Die touristische Entdeckung der Alpen
Umgeben von mächtigen Berggipfeln und stillen Wäldern entwickelten sich die schlichten Alphütten im 19. Jahrhundert zum Sehnsuchtsort wohlhabender Städter, die den Fabrikemissionen, dem Lärm sowie dem Luxus entfliehen wollten. Das karge Leben auf der Alp wurde von den Touristen als freiheitliches und selbstbestimmtes Leben in der Natur wahrgenommen. Sennen sahen im Alpentourismus einen willkommenen Nebenerwerb und bewirteten Reisende in der Sennerei:
Die Sennhütte besteht aus in einander gefugten nicht immer regen- und luftdichten Fichtenstämmen […]. Ausser einer kleinen Bank und einem Tisch ist kein Möbel vorhanden. […] In viel besuchten Alpengegenden dagegen haben die Sennhütten sich sehr vervollkommt, und bieten gegen angemessene Bezahlung noch andere Erfrischungen, Kaffe, Honig, Wein, Eierspeisen, selbst ein nicht unbequemes Heulager.
Karl Baedeker (1854), Die Schweiz. Handbuch für Reisende, S. XXXIX.
Auf dem Rücken über den Gotthard
Nachdem der Käse nach regionaler Art gelagert und nachbehandelt wurde, transportierte man ihn ins Tal. Gabriel Lory «Fils» zeigt einen Urner Käsetransporteur, der zwei Käselaibe auf einer Lastkraxe trägt. Die Laibe wurden nicht nur ins Tal gebracht, sondern auch über die Alpenpässe nach Italien exportiert. Dafür eignete sich der kleine und harte Sbrinz aus der Innerschweiz und dem Berner Oberland bestens.
Gruyère aus Fribourg
Der Freiburger Transporteur auf Gabriel Lory «Fils» Aquatinta trägt hingegen einen grossen, schweren Käselaib. Diese Grösse ist typisch für den Greyerzer Käse, der im Gegensatz zum Sbrinz nicht getrocknet, sondern feucht behandelt wird. Der Gruyère ist seit dem frühen 17. Jahrhundert namentlich belegt und wurde hauptsächlich in den Städtchen Gruyères und Bulle verkauft. Aber auch das schweizerische Mittelland und französische Städte zählten zu den Abnehmern.
Käseexport von Luzern nach Übersee
Rudolf Heinrich Füssli zeigt eine Luzerner Sbrinzverkäuferin. Neben der Stadtbevölkerung waren es vor allem Touristen, aber auch Händler aus Italien, die den Käse kauften. Der Export spielte eine zunehmend wichtige wirtschaftliche Rolle. Kaufleute, vor allem aus der Textilindustrie, begannen im 18. Jahrhundert, den Handel zu bestimmen. Käse wurde nicht mehr nur in europäische Länder, sondern auch nach Nordamerika verkauft. Infolge der wachsenden Nachfrage durch den sich vergrössernden Exportmarkt entstanden im 19. Jahrhundert Talkäsereien, die das ganze Jahr über Milchwirtschaft betreiben konnten und somit in Konkurrenz zu den Alpkäsereien traten.
Die Käshändler machten nach und nach die Erfahrung, daß auch die feinsten Berliner und Petersburger Nasen den Unterschied zwischen Alpen- und Talkäs nicht merkten […].
Jeremias Gotthelf (1850), Die Käserei in der Vehfreude, S. 355 (zit. nach Ausgabe von 1970).
Herbstlicher Alpabzug
Gabriel Lory «Fils» verbindet die Darstellung der Landschaft rund um Meiringen mit einer fröhlichen Genreszene. Die Hirten und Tiere werden nach dem Sommer auf den Alpweiden im Dorf begrüsst. Die Zeitspanne, die Sennen, Hirten und Tiere auf den Alpen verbringen, beträgt etwa 100 Tage. Aufgrund der Witterungsverhältnisse gibt es keine festen Termine für die Alpfahrt. Der vor allem im voralpinen Raum gross gefeierte Alpabtrieb findet je nach Höhenlage und Witterung im September oder Oktober statt. Die Tiere werden reich geschmückt und von Sennen und Hirten in Tracht begleitet.
Der schönsten schwarzen Kuh, wird die größte Glocke, und die beiden andern mindrer Größe den zwei schönsten nach jener umgehangen; doch tragen sie diesen Putz nicht täglich, sondern nur, wenn der Senn im Frühjahr mit seiner Heerde auf die Weiden und Alpen, aus einer in die andere zieht, [und] im Herbst wieder herabkommt […].
Johann Gottfried Ebel (1798), Schilderung des Gebirgsvolkes, S. 150.
Verkauf per Handschlag
Die jährliche Heuerndte der Wiesen ist nicht beträchtlich genug, um alles Vieh im Winter zu erhalten, welches auf den Weiden und Alpen während des Sommers hinreichend frisches Futter findet.
Johann Gottfried Ebel (1798), Schilderung des Gebirgsvolkes, S. 117.
Häufig behielt der Bauer nicht den gesamten Bestand seiner Kühe über den Winter. Sigmund Freudenberger zeigt eine städtische Marktszene, vermutlich in Bern, auf der neben dem Verkauf von Käse auch Viehhandel betrieben wird. In der Bildmitte sind sich Bauer und Händler einig geworden und besiegeln die Übergabe der Kühe per Handschlag.