Alpiner Blockbau
Auf einer Zeichenexkursion ins Berner Oberland setzte der Landschaftsmaler Gabriel Ludwig Lory die Umgebung von Rosenlaui mit Well- und Wetterhorn ins Bild. Das dabei entstandene Aquarell zeigt eine Reisegesellschaft, welche auf ihrem Weg verschiedene Alpgebäude quert. Vor der eindrücklichen Kulisse schneebedeckter Berge sind Speicher (einräumige Blockbauten mit steinbeschwerter Schindelbedachung) und eine baulich elaboriertere, am Rychenbach gelegene Sägemühle zu sehen. Die dargestellten Holzbauten entsprechen dem Topos des «Chalets», der in der Romantik in zahlreichen Reisebeschreibungen und Veduten auftauchte. Zu dieser Zeit bezog sich der Begriff auf Blockhäuser in den Alpen, besonders jener des Berner Oberlandes.
Unter einem Dach
Der Aquarellist Friedrich Wilhelm Moritz malte 1819 ein Bauernhausim Dorf Meiringen, an dem in mehreren Etappen weitergebaut worden war. Das im Blockbau errichtete Haupthaus mit zwei Geschossen über einem steinernen Keller ist linksseitig durch einen Laubenaufgang erschlossen. Rechtsseitig wurde unter der verlängerten Dachfläche ein eingeschossiger Anbau angesetzt. Im räumlich erweiterten Haus konnten mehrere Parteien unter einem Dach vereint werden. Die fünf kunstvoll gehobelten Dachpfetten und der Blumenschmuck an der Giebelseite verweisen bereits auf das spätere Idealbild eines «Chalets».
Hölzerne Häuser
Die miteinander kontrastierenden Baustile verschiedener Zeiten wurden von Bewunderern der traditionellen Holzbauten des Berner Oberlandes als besonders malerisch empfunden. Gabriel Mathias Lory rückte in seiner Genreszene eines herbstlichen Alpabzugs ein Meiringer Holzhaus mit einseitigem Flügelanbau in den Mittelpunkt. An der unterschiedlichen Nachdunkelung der Hölzer und dem variierenden Schnitzwerk wird ersichtlich, dass der Blockbau im Laufe der Zeit erweitert wurde.
Aber auch das Aeussere dieser hölzernen Häuser, wie angenehm harmonieren diese verschiedenen Farbtöne des Holzes, von der braungelben Farbe der neuen, bis zum bräunlich=rothen der alten Häuser mit dem Grün der Wiesen und Wälder, dem Blau der Seen und dem Glanze der Gletscher.
Karl Adolf von Graffenried und Ludwig Rudolf Stürler (1844), Schweizerische Architektur oder Auswahl hölzerner Gebäude aus dem Berner Oberland, Einleitung.
Ländliches Idyll
Ein im Lauterbrunnental gelegenes, nahe an die Felswand gebautes Bauernhaus inszenierte Gabriel Ludwig Lory als malerisches Idyll. Die Darstellung des Strickbaus mit rauchendem Kamin, saftig begrünter Laube und friedlich davor verweilender Bauernfamilie ist idealisierend. Sie bediente die Sehnsucht der Betrachtenden nach einer heilen, naturverbundenen Welt. Das traditionelle Holzhaus mit seiner urtümlichen Bauweise wurde hier zum Sinnbild einer vermeintlich einfachen, ländlichen Lebensweise erhoben.
Pittoreske Fassade
Für das monumentale Ansichtenwerk «Voyage pittoresque de l'Oberland bernois» wählte Gabriel Mathias Lory ein Bauernhaus aus dem Lauterbrunnental als Sujet. Im Zentrum seiner Darstellung stehen das schmucke Gehöft, seine mit Bandfriesen und Malereien reich dekorierte Giebelwand sowie der blühende Bauerngarten davor. Die ästhetische Einheit von Haus und Garten erinnerte die weltläufige Leserschaft seiner Publikation womöglich an die französische «ferme ornée» oder die englische «ornamental farm», in der ein landwirtschaftliches Gut in einen kunstvoll gestalteten Garten oder eine Parkanlage einbezogen wurde. Auch der vom Neuenburger Gelehrten und Mitherausgeber César-Henri Monvert verfasste Text betont den reichen Dekor des Hauses:
Das hübsche Haus zur Rechten wirkt mit seinem schon fast koketten Erscheinungsbild gepflegter als alle anderen in der Umgebung. Die Verzierungen seiner Fassade zeugen von einem Streben nach Eleganz und Schmuck. Eine gereimte Inschrift, die zur Ausschmückung des Giebels gehört, erklärt diese Besonderheit. Sie gibt uns zwar keine grossartige Vorstellung vom Geschmack des Besitzers oder seinem dichterischen Talent, dafür eine umso vorteilhaftere von seinem Empfinden und seinem häuslichen Glück: Als Anna Mai war meine Braut, hab ich Hans Stark dieses Haus gebaut.
César-Henri Monvert (1822), Voyage pittoresque de l'Oberland bernois, S. unpag.
Schmuckes Schnitzwerk
Birmann & Fils fokussierten in ihrer Ansicht eines Bauernhauses im Lauterbrunnental auf die aufwändig gestaltete Fassade mit geschnitzter Balkonbalustrade und schwarz eingefärbter Inschrift. Wie die meisten Ansichten von Blockbauten des Berner Oberlandes war auch ihre Darstellung für den touristischen Markt bestimmt. Um den Erwartungen des Publikums zu entsprechen, betonten ihre Schöpfer das Exotische und Pittoreske der abgebildeten Gebäude eher, als dass sie sich genau an ihre Vorlagen hielten. Die dargestellten Fassadenmuster und Brettschnitzereien waren demnach oft nicht naturgetreu, sondern enthielten imaginierte Elemente. Die ins Ausland exportierten Reisedarstellungen dienten wiederum als Vorlagen für Fassadenmotive, wie sie im industriellen «Laubsägelistil» umgesetzt wurden.
Baufachliche Dokumentation
Die oft reich verzierten Wohnhäuser des Berner Oberlandes, vorwiegend im 18. Jahrhundert erbaut, schienen vielen Baufachleuten des 19. Jahrhunderts aufgrund strengerer Bauvorschriften und dem Verschwinden handwerklichen Könnens schon dem Untergang geweiht. Der deutsche Architekt Ernst Gladbach, seit 1857 Professor für Baukonstruktion und Baumaterial am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, beschrieb die Eigenheiten der vermeintlich verschwindenden Holzbauarchitektur der Schweiz in verschiedenen Abhandlungen. In seinem Werk «Charakteristische Holzbauten der Schweiz vom 16. bis 19. Jahrhundert, nebst deren inneren Ausstattung» veröffentlichte er eine schwarz-weisse Tafel, welche die Fassadenmalereien eines Meiringer Bauernhauses zeigt. Das dazu als Vorlage angefertigte Aquarell überliefert auch deren Farbigkeit.
Die Reihe der älteren meist auch interessanteren Holzbauten nimmt täglich mehr und mehr ab: was der Zahn der Zeit und die Elemente verschonen, das muss der einreissenden, nivellirenden Modesucht weichen, dem Mangel an Erkenntniss des historischen und künstlerischen Werthes, oder einem missleiteten Geschmack.
Ernst Gladbach (1868), Der Schweizer Holzstyl in seinen cantonalen und constructiven Verschiedenheiten vergleichend dargestellt mit Holzbauten Deutschlands, Einleitung.
Haus-Skizzen
Einige Genrebilder des Malers Franz Niklaus König zeigen die Eingangsbereiche von Berner Oberländer Bauernhäusern mit Laubengängen, Butzenfenstern und Brettschnitzwerk. Königs Darstellungsweise erscheint jeweils skizzenhaft, jedoch realitätsnah. Sie veranschaulicht die Bauweise der dargestellten Häuser: Der Übergang vom aus Stein gebauten Kellergeschoss zum darüberliegenden Holzbau, das Balkengefüge und der Einbau von Fenstern und Türen werden sichtbar. Spaliere mit Rankpflanzen verdeutlichen, wie die Architektur mit der natürlichen Umgebung verbunden ist. Die Ornamentik ist dagegen spärlich oder tritt gänzlich in den Hintergrund.
Konstruktion und Ornament
Spätere Bewunderer der Holzbauten des Berner Oberlandes wie Karl Adolf von Graffenried, Ludwig Rudolf Stürler und Ernst Gladbach betonten in ihren Texten insbesondere die ausgeklügelte Konstruktionsweise. Die von Reisenden so geschätzten pittoresken und oft romantisierenden Ornamente waren aus ihrer Sicht zunächst funktional begründet. Das in einem Aquarell von Franz Niklaus König abgebildete Schnitzwerk an der Balkonbalustrade eines Oberländer Bauernhauses diente demnach in erster Linie der Belüftung und dem Ablauf des Wassers bei Niederschlägen.
Nur die älteren und häufig die ältesten dieser Häuser halten mit Zähigkeit die gute Sitte fest: die Construction stets auf eine sinnreiche Weise durch die veredelten Formen durchleuchten zu lassen und nirgends einen Schmuck anzuwenden, dem nicht eine constructive Nothwendigkeit oder Zulässigkeit zu Grunde liegt.
Ernst Gladbach (1868), Der Schweizer Holzstyl in seinen cantonalen und constructiven Verschiedenheiten vergleichend dargestellt mit Holzbauten Deutschlands, Einleitung.
Innenräume
Die Aquatinta «Der Kiltgang» von Franz Niklaus König erlaubt einen raren Blick ins Innere eines Berner Oberländer Bauernhauses und auf dessen Ausstattung. Die in Handarbeit aus Holz gefertigten Möbel und Haushaltsgegenstände dieser Häuser entwickelten sich im Zuge des aufkommenden Tourismus zum beliebten Reisesouvenir. Der Ausverkauf der «Schweizer Häuser» wurde beklagt, war jedoch in wirtschaftlich unruhigen Zeiten oft der Not geschuldet. Die Holzschnitzerei entwickelte sich im 19. Jahrhundert zur Verdienstmöglichkeit verarmender Bauernfamilien.
In nicht fernen Zeiten wird man von der alten Ausstattung des Inneren dieser Schweizerhäuser, in einzelnen Kabinetten englischer Lords oder französischer Banquiers bessere Kunde als auf dem heimischen Boden erhalten, obgleich diese schönen Geräthe dort nicht denselben Eindruck machen können, weil sie aus dem ursprünglichen Zusammenhang herausgerissen sind.
Ernst Gladbach (1868), Der Schweizer Holzstyl in seinen cantonalen und constructiven Verschiedenheiten vergleichend dargestellt mit Holzbauten Deutschlands, Einleitung.
Rohstoff Holz
Ein 1844 entstandenes Aquarell von Friedrich Wilhelm Moritz zeigt ein Holzlager in Iseltwald am Brienzersee. Im Mittelgrund sind aufgeschichtete Balken und Bretter zu sehen, die womöglich auch dem Hausbau dienten. Der Verkauf von Holz und die Herstellung von Schnitzereien waren wichtige Einkommensquellen für das Fischerdorf am Brienzersee. Der Seeanschluss ermöglichte die Verschiffung von Holz in die Sägereien der Region.
Der Rohstoff Holz wurde im 19. Jh. zusehends begehrter und teurer. Zugleich wurde die traditionelle Holzbauweise aufgrund der höheren Brandgefahr allmählich durch den Steinbau verdrängt. Die Abdeckung der Dächer mit Holzschindeln wurde gar verboten.
Selbst Zimmerleute, die mit dieser Bauart und ihren Verzierungen vertraut sind, werden immer seltener; ein neueres Gesetz schreibt statt Schindel eine Bedachung von Ziegeln oder Schiefern vor, und der durch neue bedeutende Ausfuhr so sehr erhöhte Preis des Holzes wird dieser Bauart vollends den letzten Stoss geben.
Karl Adolf von Graffenried und Ludwig Rudolf Stürler (1844), Schweizerische Architektur oder Auswahl hölzerner Gebäude aus dem Berner Oberland, Einleitung.
Walmdächer des Mittellands
Nicht nur im Berner Oberland, auch in weiteren Regionen der Alpen und Voralpen waren Blockbauten verbreitet. Im Entlebuch aquarellierte der Schwyzer Vedutenmaler David Alois Schmid ein Bauernhaus mit raumgreifendem Walmdach mitsamt Gerschild, das sich – wie für diese Region und das Emmental üblich – über den gesamten Wohnbereich, die Tenne und den Stall ausdehnte. Der über dem Wohnhaus liegende Bogengiebel, die sogenannte «Ründe», war reich bemalt mit pflanzlichen Ornamenten. Ein Aquarell von Friedrich Wilhelm Moritz zeigt ein in der Nähe von Luzern gelegenes und in der Inschrift um 1790 datiertes Bauernhaus mit sehr ähnlicher Bemalung. An den Dachuntersichten beider Bogengiebel sind bei genauem Hinsehen Himmelsdarstellungen mit Mond und Sternen zu erkennen.
Abweichend von dieser Bauart tritt der Blockbau auch ausserhalb des Berner Oberlandes auf. Diejenige von Unterwalden und Luzern nähert sich ihm am meisten. In Uri und Schwyz scheint sich die älteste Weise mit noch spätmittelalterlichen Formen erhalten zu haben.
Ernst Gladbach (1868), Der Schweizer Holzstyl in seinen cantonalen und constructiven Verschiedenheiten vergleichend dargestellt mit Holzbauten Deutschlands, Einleitung.
Klebdächer der Innerschweiz
David Alois Schmid malte verschiedene Haustypen des Mittellandes und der Innerschweiz. Ein ihm zugeschriebenes Aquarell zeigt die Giebelfront eines Nidwaldner Bauernhauses mit zwei übereinander liegenden Klebdächern, welche die Fensterzeilen vor Niederschlägen schützten. Die Fassade des gesamten Hauses erscheint durch die geschindelten Stellen und die mit einem rotweissen Flammenmuster abgesetzten Fensterläden gleichsam rhythmisiert. Die bis an die Fassade vorstossenden Balken machen die innere Aufteilung des Gebäudes gegen aussen hin sichtbar. Dies war Ausdruck von Wohlstand – man konnte es sich leisten, Zimmer anhand ihrer Funktionalität voneinander abzugrenzen.
Ein Aquarell von Friedrich Wilhelm Moritz bildet ein Schwyzer Bauernhaus mit sehr ähnlicher Konstruktionsweise ab. Auch an den beiden Längsseiten dieses Gebäudes sind auskragende Laubengänge angebracht. Der darunterliegende Raum wurde als Stauraum und für Treppen genutzt.
Gasthaus zur Treib am Vierwaldstättersee
Für die 1829 gemeinsam mit César-Henri Monvert edierte Publikation «Souvenirs de la Suisse» porträtierte Gabriel Mathias Lory das bis heute als Reiseziel beliebte Gasthaus zur Treib. Das gegenüber Brunnen am Vierwaldstättersee liegende Haus hat eine bewegte Geschichte: Ein Haus zur Treib wurde im 15. Jahrhundert erstmals erwähnt. Nach einem Brand wurde es um 1658 neu erbaut, 1903 abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt. Gemäss Ernst Gladbach repräsentierte das auf Gabriel Mathias Lorys Aquarell – und auf der später publizierten Aquatinta – abgebildete Haus exemplarisch die Blockbauweise des Kantons Uri. Im Gegensatz zu vielen anderen Strickbauten war sein Dach steiler geneigt und mit Ziegeln, statt mit Schindeln eingedeckt. Der Zugang erfolgte auf der Rückseite durch einen Fahrweg. Auf Lorys Darstellung ist kaum sichtbar, dass die Fundamentmauern des Hauses bis in den Urnersee hineingebaut waren. Eine kleine Anlegestelle an der Vorderseite ermöglichte den Zugang per Transportboot oder Nachen bis unter das Gebäude.
Vom Holz- zum Steinbau
Nicht immer spiegelt sich die Blockbauweise eines Hauses an dessen Fassade wider. In gewissen Regionen, wie dem Engadin, wurden Blockbauten mit Steinmauern, so genannten Mantelmauern, verkleidet. Ein Aquarell aus dem Nachlass des Verlegers Jean-Frédéric d’Ostervald zeigt ein Wohnhaus aus dem Raum des vorderen Rheintals oder des Prättigaus, das in einer solchen Mischbauweise erbaut wurde. Unter dem flach geneigten, weit ausladenden Dach finden sich zwei mit Stein ummauerte Vollgeschosse, darüber liegend eine Giebelzone in Holz mit Blockkonsolen und Würfelfriesen. Die Vertiefungen von Fenstern und Türen sind mit Sgraffiti gerahmt. Dem ersten Obergeschoss ist ein laubenartiger Dörrboden vorgelagert. Bei der dahinter liegenden Scheune ist der Blockbau hingegen klar ersichtlich.
Fassadenmalerei im Prättigau
Auch die Holzbauweise Graubündens fand Eingang in die Literatur zur schweizerischen Holzarchitektur. Ein weiteres Aquarell von Ernst Gladbach bildet die Dachuntersicht und die reich bemalte und mit einer Inschrift versehene Giebelfront eines 1805 in Jenaz im Prättigau erbauten Hauses ab. Es diente als Vorlage für eine Tafel, die Gladbach in seiner Schrift zur alpinen Holzbauarchitektur mit dem Titel «Der Schweizer Holzstyl in seinen cantonalen und constructiven Verschiedenheiten vergleichend dargestellt mit Holzbauten Deutschlands» veröffentlichte. Wie Gladbach im zugehörigen Text schreibt, war das Hausdach mit Brettschindeln versehen, die – ähnlich den Blockbauten anderer Kantone – mit schweren Steinen belastet wurden.